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Gregori Eyger sprach von Vergebung und dem Blick nach vorne

Das Schicksal des 80-jährigen Juden bewegte und stimmte nachdenklichWbg. Stadt Realschule Zeitzeugen 04 2023.02 v1

Mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine sind Bombenangriffe, Tod, Verwüstung und Armut gerade für die heranwachsende Generation ein Thema, mit dem sie sich beschäftigt und das sie durch Fernsehen und Social Media in gewissem Sinne „miterlebt“. Doch wie war es im Zweiten Weltkrieg, als die jüdische Bevölkerung verfolgt und vertrieben wurde? Ein Zeitzeuge besuchte die Realschule plus am Schlossberg in

Westerburg und erzählte von seinem Schicksal. Den Kontakt zu Gregori Eyger, der gemeinsam mit seiner Frau Luba zehn Tage lang in Deutschland zu Besuch war, stellte Ursula Zammert aus Emmerichenhain her. „Wir sind sehr froh, dass wir diese Gelegenheit bekommen haben“, äußerte sich Schulleiter Michael Elbert, der auch Mirjam und Markus Weidner herzlich begrüßte.

Außergewöhnliche Unterrichtsstunde
Die Beiden leben ebenfalls in Israel und begleiteten das Ehepaar Eyger. Neben dem Bürgermeister der Verbandsgemeinde Westerburg, Markus Hof, konnte der Schulleiter auch Stadtbürgermeister Janick Pape begrüßen. Dieser freute sich, dass die Gäste aus Israel auch Station in Westerburg gemacht hatten. "Das Erzählen und Erinnern der Lebensgeschichten ist von größter Bedeutung. Daher habe ich Herrn Eyger das Buch "Verfolgt, Vertrieben, Vernichtet" überreicht, welches die Lebensgeschichten der Westerburger Juden während der NS-Zeit eindrucksvoll dokumentiert. Zusätzlich war es mir eine Ehre, ihm ein Schreibset mit dem Emblem unserer Stadt zu schenken, damit er so symbolisch auch seine eigene Lebensgeschichte für nachfolgende Generationen festhält“, erläuterte Pape seine Geschenke für den Gast aus Israel.
„Wir bekommen heute eine Einsicht in eine Welt, die wir nicht mehr kennen und zum Glück nicht miterleben mussten“, so Elbert. Zu den Teilnehmern dieser außergewöhnlichen Unterrichtsstunde zählte neben Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen (9ab/10cde) auch eine Gruppe des Leistungskurses Geschichte vom Konrad-Adenauer-Gymnasiums, die von Schulleiter Thomas Wittfeld begleitet wurde. Darüber hinaus waren Schüler der Freien Montessori-Schule Westerwald gekommen.

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Vordere Reihe von links: Jessica Pineker (Realschule), Ursula Zammer, Luba und Gregori Eyger, Olga Geiger, Mirjam Weidner und Stadtbürgermeister Janick Pape. Dahinter von links: Markus Hof (Bürgermeister der VG Westerburg), Schulleiter Michael Elbert und Markus Weidner.

Reichtum an Lebensgeschichte
Mit einem freundlichen „Schalom“ begrüßte Mirjam Weidner die anwesenden Zuhörer. „Das bedeutet Friede“, erläuterte sie und führte fort: „Welches Wort wäre passender!?“. „Es ist uns eine Ehre, dass wir hier sein dürfen“, freute sich Mirjam Weidner, die in ihren Ausführungen die Frage: „Holocaustüberlebende, gibt es die überhaupt noch?“ beantwortete. Zunächst erzählte sie von ihrem Leben und Wirken. Als Christin in Schwaben geboren zog es sie nach Israel, wo sie sich mit ihrem Mann im Sozialdienst engagiert und unter anderem als Lebensmittelpate fungiert. „Gestern wurde in Israel der 75. Geburtstag gefeiert“, so Weidner. Auch wenn der Holocaust zu Ende gegangen sei, sei dies aber erst der Anfang der Geschichte derer, die überlebt hätten. Der Reichtum an Lebensgeschichte sei für sie faszinierend. Wie spannend eine Lebensgeschichte sein kann und welche Schicksalsschläge sich dahinter verbergen, das wurde im folgenden Vortrag deutlich.

Das Schicksal von Gregori Eyger
Gespannt lauschten die rund 160 Zuhörer den Worten von Gregori Eyger, der von seiner Kindheit erzählte und einen Einblick in die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs gab. Als Dolmetscherin fungierte Olga Geiger aus Waigandshein, eine geborene Russlanddeutsche. Die Familie des heute 80-Jährigen lebte in einem kleinen jüdischen Dorf in Moldawien. „Eines Tages trommelten rumänische Polizisten alle jüdischen Einwohner auf einen Platz zusammen und haben uns gewarnt, dass jetzt alle an andere Plätze umgesiedelt werden. Die jüdischen Einwohner nahmen alles, was sie nur mit sich tragen konnten und gingen los in die Ungewissheit“, berichtete er rückblickend. Seine Eltern hatten damals drei Kinder. Der älteste Sohn wurde sehr krank. Er konnte nicht weitergehen und durfte schließlich auf einem Pferdewagen sitzen und dort mitfahren. Nach kurzer Zeit fuhr dieser Pferdewagen aber in eine andere Richtung, angeblich ins Krankenhaus. Wie die Zuhörer später erfuhren, kam der Sohn nach vielen Jahren dank eines glücklichen Zufalls wieder zu seiner Familie zurück. Schließlich kamen sie in ein Ghetto. Dort erkrankten die beiden anderen Kinder und starben. Im Jahr 1943 wurde Gregori geboren. „Nach den Wörtern meiner Mutter, war ich, als ich geboren wurde, nur 1 Kilogramm schwer: ein Kopf, zwei große Augen und ganz dünne Händchen und Füßchen… Mamas Schwester, als sie mich gesehen hat, sagte zu Mama: Schmeiß ihn doch weg! Der wird auch nicht überleben…“.

Von Sibirien nach Israel
Doch das Schicksal meinte es dann doch gut mit ihm. Gregori Eyger berichtete von seiner Einschulung, einem Tag, der ihm in guter Erinnerung blieb, zumal er neue Kleidung bekam. Als Jugendlicher machte er eine Ausbildung zum Schneider und ging kurz darauf nach Sibirien, wo er auf großen Baustellen arbeitete. Mit 20 Jahren wurde er in die Armee einberufen. Die folgenden sechs Jahre erlebte er „viele interessante Meeresabenteuer“, wie er es beschrieb. Er sah verschiedene Länder, war in Kanada, in Indien, in Japan. Schließlich kehrte er zurück nach Sibirien, wo er seine Frau kennenlernte und eine Familie gründete. Nachdem zwei seiner mittlerweile erwachsenen Töchter nach Israel ausgewandert sind, entschlossen sich Gregori Eyger und seine Frau Luba im Jahr 1998 ebenfalls nach Israel zu ziehen - zurück zu den Wurzeln seines Volkes - zu ziehen. Es gab einen Neuanfang in einem fremden Land, der viel Mühe und Arbeit mit sich brachte, den sie jedoch gut meisterten. „Meine Eltern waren Leute, die nicht gebildet waren“, bekannte der 80-Jährige. Dennoch stand für seine Familie und ihn fest: „Nur wenn man vergibt, kann man auch nach vorne blicken!“. Eine starke Botschaft, die aufhorchen ließ und nachdenklich stimmte.

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Dank für Gastfreundschaft
Gregori Eyger freute sich über die Gastfreundschaft in Westerburg. Er habe nicht damit gerechnet, dass die Menschen so offen und gutherzig seien. Er versprach, dass er seine guten Eindrücke mit nach Hause nehme und seiner Familie mitteile. Abschließend ermutigte Mirjam Weidner die Schülerinnen und Schüler, nach Israel zu kommen und das Land, dessen Größe dem Bundesland Hessen entspreche, mit seinen Sehenswürdigkeiten und heiligen Stätten verschiedener Religionen kennenzulernen. Schulleiter Michael Elbert und die Didaktische Koordinatorin Susanne Jung-Kloft bedankten sich bei den Gästen mit Blumen und Buchgeschenken.